
„Kunst ist für mich Fragen, Streben“
Charlotte Fechner ist Quereinsteigerin. Ihre künstlerische Biografie entspringt einem Seitenarm der Künste, der Heilkunst. Aus ihrer medizinischen Praxis heraus folgt sie 2016 dem Ruf in die Bildende Kunst.
Triebfeder für diesen Schritt ist die Frage nach dem Ich im Raum. In diesem Spannungsfeld formulieren ihre Werke einen gefühlsintensiven Impuls, der sich immer wieder an sie persönlich richtet wie an ein kollektives Du – an Gemeinschaft, Gesellschaft, Welt. Selbsterfahrene Facetten einer weltverbindenden Wundhaftigkeit scheinen spürbar zu werden. Das Diagnostische von einst bekommt eine künstlerische Wendung und wird Bild.
Vielfach ist sie selbst ihr eigenes Motiv. Sich selbst erkunden, ausprobieren und entschlüsseln, das bildet den Humus ihrer Fotografie. Jede ihrer Arbeiten spiegelt einen intimen Prozess wider, teils von bedrückender Schutzlosigkeit. Manche Werke scheinen Distanz zu gebieten, andere um Nähe zu bitten: Wohin lockt, was schmerzt? Und doch verharren sie nie bei bloßem Ichbezug. Im Befreiungsakt mit der Kamera entsteht eine feine Versuchsgröße mit überpersönlicher Strahlkraft, stets gerichtet an ein fiktives Du, das immer auch ein unbeugsames Quantum Ich enthält.
Den eigenen Inhalt in Formen zu gießen heißt immer auch, die Grenzen auszuloten, die sich zwischen Innen und Außen ergeben. Es bedeutet, bislang Verhülltem eine Blöße zu geben, was nie ohne Furcht und Risiko ist. Im Beuys’schen Sinne könnte gerade diese ästhetische Selbstreflexion den verbindenden Faden zu den Krisen spinnen, die in den öffentlichen Medien immer wieder zutage treten: Es ist die eine große Weltwunde, die es Beuys zufolge in der Kunst zu zeigen gelte.
Eben dieses Wundhafte, so scheint es, will befragt werden. Es will ans Licht, um hoffen zu lassen auf das, was hinter den Schatten ist. Die Kunst bietet Charlotte Fechner genau das Tor, das es in diesem Sinne zu hegen und immer wieder zu durchschreiten gilt.
Im Spannungsfeld zwischen Offenbarung und Verhüllung formuliert sie das, was für sie die tragenden Schlüsselqualitäten eines befreiten Lebens sind: Erlösung und Einssein, Intensität und Lust, Mut zu Liebe und zu Weiblichkeit. Die eigene wie die der Welt.
Martin Timm
WERDEGANG

Foto: Martin Timm
1974
geb. bei Hannover,
nach Medizinstudium zunächst niedergelassene Ärztin
2016
Hinwendung zur Kunst, div. Seminare und Weiterbildungen in Fotografie und Skulptur
2019
Beginn Künstler-Coaching bei Martin Timm
2021
Abschluss des Studiums an der Fotokunstakademie WennHeldenReisen
2021
Gruppenausstellung in der Kunstakademie Bad Reichenhall
2021
Stipendium ,Junge Kunst und Neue Wege‘, Kultusministerium Freistaat Bayern
2022
Gruppenausstellung Kunstakademie WennHeldenReisen
2022
Meisterkurs ,Mythen unserer Zeit‘ bei Leiko Ikemura
2023
Beginn Studium der Plastik, Akademie der bildenden Künste in Kolbermoor